,,DDR konnte man schon in jeder Ortschaft riechen” - Jutta Schröder & Annelie
Auswirkungen der deutsch-deutschen Grenze auf das Familienleben


Eine Grenze trennt nicht nur Länder, sondern auch Familien, Freunde und Verwandte. Diese Trennung erschwert es den Menschen, in Kontakt zu bleiben. Sie kann sowohl die physischen Verbindungen als auch die emotionalen Beziehungen beeinflussen.
In unserem Geschichtsprojekt befassen wir uns mit den Auswirkungen der deutschen Teilung auf Familien. Dabei gehen wir insbesondere auf die Themen wie die Grenzteilung, Grenzkontrollen und Kindererziehung ein. Des Weiteren haben wir zwei Zeitzeugeninterviews durchgeführt, die aus der Sicht der BRD über ihre Erfahrungen berichten.
Wir haben uns für dieses Thema entschieden, weil wir es besonders interessant fanden, welche langfristigen Auswirkungen die deutsche Teilung auf Familien hatte. Auch die strengen Reisebestimmungen machten den Kontakt komplizierter. Wir als Flüchtlinge mussten nach Deutschland fliehen und uns von unserer Familie trennen. Da wir das Gefühl kennen, getrennt von unseren Liebsten zu leben, hat uns dieses Thema besonders berührt. Die Erfahrungen der Familien, die durch die deutsche Teilung getrennt wurden, spiegeln unsere eigene Situation wider, weshalb wir uns besonders mit diesem Thema beschäftigten.
Zeitzeugeninterview - Jutta Schröder
Das Zeitzeugeninterview schildert die Erfahrungen eines Westdeutschen bei Reisen in die DDR. Dabei waren besonders die Grenzkontrollen eine Herausforderung. Die Beamten nahmen es sehr genau, überprüften jedes Detail und durchsuchten die Fahrzeuge gründlich. Vor allem die Zollbeamtinnen wirkten besonders streng und hartnäckig. Auch kleine Kinder mussten oft nachts im Kalten stehen, während das Auto durchsucht wurde. Nach der Einreise war der Unterschied zur Bundesrepublik deutlich spürbar. Der Geruch von Trabi-Abgasen und Braunkohle lag in der Luft und überall standen Volkspolizisten, die den Verkehr überwachten. Viele Autofahrer wurden wegen kleiner Verstöße direkt zur Kasse gebeten und das nur in Westgeld.
Auch eine Reise durch die DDR brachte der Zeitzeugin besondere Eindrücke. Als sie in einer Kleinstadt eine Pause machte, fiel ihr auf, dass die Menschen sie sofort als Westdeutsche erkannten, allein durch Kleidung und Auftreten. Mit dem Mauerfall änderte sich alles. Plötzlich standen ehemalige DDR-Bürger im Westen auf der Türschwelle, suchten eine neue Heimat und hofften auf ein besseres Leben. Eine Familie, die lange an Flucht gedacht hatte, wagte nun den Schritt. Später stellte sich heraus, dass einer von ihnen für die Stasi gearbeitet hatte, was eine überraschende, aber auch unangenehme Erkenntnis für sie war.
Im Gesamten vermittelt der Bericht eindrucksvoll, wie streng und kontrolliert das Leben in der DDR war, aber auch, wie sich die Menschen kleine Freiheiten nahmen. Mit dem Mauerfall verschwanden viele dieser Einschränkungen, dennoch sind Erinnerungen an diese Zeit geblieben.
Zeitzeugeninterview - Annelie
Das Interview berichtet von den persönlichen Erfahrungen der Zeitzeugin, Annelie, mit der innerdeutschen Grenze. Als Kind erlebte sie die Teilung nicht bewusst, doch ihre Mutter war sehr traurig über die Trennung von Verwandten in Mecklenburg.
Der Kontakt zur Familie war selten und das Reisen über die Grenze war kompliziert, belastend und eingeschränkt, was auch die familiäre Beziehung erheblich belastete. Besuche in der DDR waren oft mit Angst verbunden, besonders wegen strenger Kontrollen durch die Grenzpolizei. Auch beim Reisen durch DDR gab es gründliche Fahrzeugkontrollen, ihre Autos wurden mehrmals durchsucht. Sie berichtete, dass selbst ein kurzer Halt an der Straße zur Kontrolle durch die Volkspolizei führte. Auch nachts mussten die kleinen Kinder in der Kälte stehen, während das Auto durchsucht wurde. Der Mauerfall 1989 war für die Zeitzeugin Annelie eines der größten Erlebnisse, die sie in Berlin miterlebte. Es herrschte große Unsicherheit darüber, ob Menschen aus der DDR zurückkehren könnten. Insgesamt war die Zeit der Teilung für sie und ihre Familie mit Einschränkungen und Angst verbunden.
Das DDR-Grenzsystem war eines der am stärksten gesicherten Grenzsysteme, insbesondere die Berliner Mauer und die innerdeutsche Grenze. ¹ Die Reisebestimmungen zwischen der DDR und der BRD waren stark eingeschränkt und kompliziert. DDR-Bürger und -Bürgerinnen durften ihr Land nur in die Brüderstaaten verlassen. ²
In der DDR hat die politische Erziehung der Jugend eine große Rolle gespielt. Bereits im Kindergarten hat die sozialistische Erziehung begonnen. Diese wurde dann in der „Polytechnischen Oberschule" fortgesetzt. Der Zweck dieser Erziehung bestand darin, die Jugendlichen zu Sozialisten zu erziehen, die sich dem Kollektiv unterordneten. ³
Fazit
Der Alltag der DDR war stark von Mangelwirtschaft geprägt. Die Produktion konnte den Bedarf der Bevölkerung nicht decken, sodass in den Geschäften meist nur das Nötigste erhältlich war. Die Unzufriedenheit der Bürger nahm immer mehr zu. Die Westpakete waren ein wichtiger Ausgleich für die Versorgungslücken, die aus der Bundesrepublik geschickt wurden. ⁴ ⁵
Am 9. November 1989 öffnete die DDR unerwartet die Grenzen, wodurch die Berliner Mauer fiel. ⁶
Die Interviews verdeutlichten eindrucksvolle persönliche Herausforderungen und emotionale Belastungen, die mit der deutschen Teilung einhergehen. Es führte auch zu tiefen Einschnitten in das Familienleben ein, denn viele Familien wurden durch die Grenze getrennt, Kontakte waren eingeschränkt oder unmöglich. Auch Fluchtversuche führten zu Gefahren und Repressionen. Dabei prägten die politischen und wirtschaftlichen Unterschiede das Leben und führten oft zu Spannungen innerhalb der Familien. Zwar brachte die Wiedervereinigung Deutschlands eine physische Einheit zurück, dennoch wirkten die Folgen der Teilung noch lange nach.
¹ Fischer, Heike und Hartwig (Hrsg.). 25 Jahre grenzenlos. Weltgeschichte vor der Haustür. Fotodokumentation Kreis Herzogtum Lauenburg-Landkreis Nordwestmecklenburg. 3. Auflage, September 2015. Seiten: 20-30.
² Gruler, Sabine, und Wagner, Kirsten (Hrsg.). Mauer und Grenze zwischen DDR und BRD trennte Familien URL: https://www.zeitklicks.de/ddr/politik/die-beiden-deutschen-staaten/getrennt?utm (Zugriff: 15.1.2025).
³ Ludwig, Ralf (Intendant) DDR-Erziehung: Im Sinne der Ideologie, in: MDR online, URL: https://www.mdr.de/geschichte/ddr/alltag/erziehung-bildung/schule-kinder-jugendliche-sozialismus-100.html (Zugriff: 15.1.2025).
⁴ Würz, Markus: Mangelwirtschaft, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-krisenmanagement/niedergang-der-ddr/mangelwirtschaft.html (Zugriff: 15.1.2025).
⁵ Lehmann, Ellen (Leitung). Westpaket, , in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, , in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: https://www.hdg.de/lemo/lernen/hdg/okjekt:westpaket (Zugriff: 06.02.2025).
⁶ Günther, Carsten (Hrsg.). Mauerfall und deutsche Wiedervereinigung, in: Planet Wissen, URL: httsp://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/dje_berliner_mauer/ddr- mauerfall:wiedervereinigung:100.html? (Zugriff: 15.1.2025).
Zeitzeugin: Jutta Schröder
Zeitzeugin: Annelie
Transkript
Zeitzeugeninterview von Jutta Schröder (24.01.2025)
Liebe Ghada! Gerne berichte ich Dir von den Erfahrungen meiner DDR-Kontakte und Besuchen. Ich bin jetzt 80 Jahre alt, und somit offenbar in das Zeitzeugenalter aufgerückt. Zuerst mein Bericht, dann beantworte ich Deine Fragen gerne im Einzelnen. Während meiner Schulzeit (1955-1965) auf dem Walddörfer Gymnasium in Hamburg Volksdorf, hatten wir als Klasse den Kontakt zu einer Rentnerin in Mecklenburg. Der Kontakt wurde während unserer Unter- und Mittelstufe gepflegt. Die Korrespondenz oblag mir, denn ich konnte die, in altdeutscher Schrift verfassten Antwortschreiben lesen. Die Briefe begannen immer mit dem Satz: „Laut Verzeichnis war alles drin!". Die
Pakete mussten immer mitweinen Inhaltsverzeichnis versehen werden. Man wusste, dass alle Pakete kontrolliert wurden!
Die Laufzeit der Sendungen waren entsprechend lange, etwa 3 Wochen. Vor Weihnachten, wenn viel Pakete kontrolliert werden mussten, auch durchaus mal 4 Wochen! Sie wohnte in Prerow, einem kleinen Ort auf dem Darß. Die Vermittlung war durch die evangelische Kirche zustande gekommen. Etwa 3-4-mal im Jahr packten wir für sie „Freßpakete". Die Versorgung mit Lebensmitteln war in der DDR damals katastrophal.
In die Sendungen kamen vor allem sogenannte (ein „Lieblingswort" der damaligen Zeit, als wir den Kontakt zu unseren „Sogenannten Brüdern und Schwestern" pflegten) Konsumgüter, die es im Osten, in den „Konsumläden", nicht gab: Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze, und Einmalartikel wie Kaffeefilter und Papiertaschentücher. Zimt, Orangeade, Kardamom und Vanille waren zur Weihnachtszeit so begehrt, wie Zitronen und Orangen das ganze Jahr über! Aber auch Zucker und Mehl, und besonders Schokolade musste immer mit im Paket sein! Das Angebot im „Konsum" beschränkte sich auf regional erzeugte Produkte (Kartoffeln, Rüben, Wurzeln, Äpfel, Rhabarber, und im Sommer gab es Beerenobst. Wer Glück hatte, konnte einen Apfelbaum an der Obstbaumalleen mieten, und selbst ernten. Wenn es im Konsum einmal Bananen aus Kuba im Angebot gab, dann sprach sich das wie ein Lauffeuer blitzschnell herum, und es bildete sich rasch eine lange Kundenschlange vor dem Eingang. Oft waren dann die Bananen aber auch rasch ausverkauft, und der Rest der Wartenden ging leer aus!
Importe aus den (sogenannten) Bruderstaaten: Russland, Ungarn, Kuba. Weniges erreichte die DDR auch aus Venezuela und Vietnam. Aus diesem Land kamen hauptsächlich Gastarbeiter für die Produktionsstätten im Industriegebieten Sachsen, Thüringen und Berlin.
Arbeitslosigkeit gab es in der DDR nicht! Kinder wurden schon im Alter von wenigen Wochen in Krippen untergebracht, und im sozialistischen Sinne in der Gruppenerziehung betreut. In sehr großen Gruppen! Auch anschließend wurde der sozialistische Nachwuchs stets in großen Gruppen uniformiert, ideologisiert und staatlich geprägt, strikt erzogen: Im Gleichschritt und mit Gesang! Die Mütter und Frauen wurden in Männerberufen zu Traktorfahrerinnen, Kranführerinnen und Ingenieurinnen ausgebildet. Wobei zu einem Studium nur Bewerber aus Arbeiterfamilien zugelassen wurden. Stammte man aus einer intellektuellen Familie, wurde man nicht einmal zum Abitur zugelassen! Kritische Gedanken und Äußerungen über Staat und Gesellschaft wurden geächtet und bestraft! Oft mit Haft! Das führte häufig zur Flucht in den Westen, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer gefährlicher wurde. Oder der Staat griff zum Mittel der Ausbürgerung, wenn die Person zu bekannt war. (Wolf Biermann z.B.)
Unsere Großmutter, Marie Ribbeck, musste noch im Alter über 70, in einer Gärtnerei Jungpflanzen pikieren nicht etwa an rückenschonenden Hochbeeten, sondern knieend am Boden!
Der Autoverkehr war sehr reduziert im Vergleich zum Westen! Die Wartezeit von 10 Jahren und mehr auf einen Trabbi mit 2 Takt Motor, ein abnorm hoher Preis machten den Erwerb schwer. Die Qualität und Ausstattung spiegeln sich in der Bezeichnung Pappe" für den Trabbi wider! Die Wartburg fuhren „Bonzen". Staatsdiener bekamen eine russische Luxuslimousine. Reparaturen an der „Pappe" gleich Trabbi wurden selbst geleistet und fehlende Ersatzteile improvisiert! Marios Wagen hatte einen Gangschaltungshebel, der aus einem großen Schraubendreher bestand. Die durchgegammelte Bodenplatte beim Beifahrer wurde durch ein solides verzinktes Fussabstreifergitter massiv gesichert. Marie Ribbeck war die Großmutter meines Mannes. Schon vor unserer Heirat sind wir oft und regelmäßig zu ihr zu Besuch gefahren! Immer zu Ostern, manches Mal auch zu Weihnachten und zwischendurch. Es waren nur 79 km von Lübeck bis Schwerin! Aber der zeitliche Aufwand, und vor allem die Vorbereitungen waren beträchtlich! Der Pass musste noch mindestens ein halbes Jahr gültig sein. Ein vielseitiges Formular mit detaillierten Fragen zum Aufenthalt, dem Grund, und den zu besuchenden Personen und Adressen musste ausgefüllt werden. Die Geschenke und Gegenstände, die mitgeführt werden sollten, mussten aufgelistet werden, sowie die beabsichtigte Dauer des Aufenthaltes angegeben werden. Außerdem musste man eine lange Liste beachten, in der aufgeführt wurde, was nicht eingeführt werden durfte! Das waren alle Druckerzeugnisse, und Medikamente. Letztere hätten wir Marie Ribbeck gerne aus unserer Apotheke mitgebracht, denn sie hatte so allerlei Altersbeschwerden. Manchmal gelang es mit dem Hinweis, dass wir die Medikamente selbst für den Aufenthalt benötigen würden. Aber auch der Zoll der Bundesrepublik warf manchmal einen Blick auf die ausgefüllten Formulare.
Als wir unserer Großmutter einmal einen kleinen tragbaren Schwarzweiß-Fernseher mitbringen wollten, lächelte der westlich Zollbeamte süffisant: „Na, dann bis gleich!" Aber es gelang! In der DDR herrschte ein Abkürzungswahn! Das hatten wir ausgenutzt, und den Import, völlig korrekt, als S.W.-TV angegeben. Zur Ablenkung des DDR-Zolls lag eine Kundenzeitschrift aus unserer Apotheke auf der Rückbank. Über diese Einfuhrprovokation echauffierte sich der östliche Zollbeamte empört, fast cholerisch werdend. Wir baten ihn ruhig und gelassen, die Zeitung doch bitte zu vernichten. In der Apotheke bekäme jeder Kunde ein Exemplar! Das S.W.TV. War kein Thema mehr! Die östliche Grenzkontrolle war immer ebenso nervig wie stressig, und dauerte meist länger als 30 Minuten. Zu Beginn mussten Pass und ausgefüllte Anträge auf ein Laufband gelegt werden. Der Zwangsumtausch von 20 DM West pro Person in Ostmark geleistet werden. Alle Insassen mussten aussteigen, die Sitze hochgeklappt werden, ebenso die Rückbank und die Motorhaube. Selten, dass mal auf der Rückfahrt ein Zollbeamter darauf verzichtete, die schlafenden Kinder aussteigen zu lassen. Fröstelnd standen sie, meist verschlafen und zitternd, im Dunkel der Nacht, aber gleißend hell erleuchteten Grenzstation, in immer zugiger Luft. Im Laufe der Zeit bekamen wir heraus, dass diese Vorbereitungen, von uns freiwillig geleistet, manchmal Wohlwollen bei den Zöllnern hervorrief. Mit einem rollbaren Spiegel wurde der Unterboden des Fahrzeugs untersucht, ein freilaufender Schäferhund schnüffelte durch das Auto. (Sollte ich mal ein Taschentuch von meiner läufigen Hündin von zu Hause, zur Ablenkung mitbringen? Lieber nicht: Jede Störung der Routine verursachte nur längere Wartezeiten!) Humor an der Grenze war sowieso verpönt! Die Benzinklappe wurde aufgeschraubt, und mit einer Sonde der Hohlraum abgetastet. Am schlimmsten waren da die Zollbeamtinnen! Sie schienen sich immer vor Ihren Kollegen beweisen zu müssen! Humorlos korrekt, fast immer in breitem Sächsisch fragten sie nach „Gänsefleisch"!? Wir haben dann immer (nur innerlich!!) gelacht, denn der Satz ging weiter:"....den Gofferraum uffmachn?" Übersetzung: „Können Sie vielleicht den Kofferraum aufmachen?".
Einige Male, wenn der Zoll Verdacht hatte, es wäre noch etwas im Wagen versteckt, das nicht angegeben wurde, musste man in eine Wellblechgarage fahren, die seitlich der Kontrollcontainer Büros stand, neben den Hundezwingern, mit den laut bellenden Schäferhunden. Hinter geschlossenen Türen wurden dann die Seitenverkleidungen, die Fußmatten und in allen Ritzen gesucht. Ja sogar die Tücher aus der Kleenexbox in der aufgerissenen Pappe inspiziert. Unsere Kleinkinder waren von diesen aufwändigen Kontrollen immer genervt, und es war schwer, sie bei Laune zu halten. Nach der Einreise auf das DDR-Staatsgebiet fuhr man dann etwa 5 km bis zur nächsten Kontrolle, die noch einmal die bereits kontrollierten Papiere der Kollegen kontrollierten. Endlich konnten wir weiter Richtung Schwerin fahren. Die Schweigsamkeit wurde beendet, der Stress wich Erleichterung. Dennoch fuhr man konzentrierter als im Westen! In regelmäßigen Abständen waren „Vopos" (Volkspolizisten) stationiert, die das Einhalten der etwas anderen Verkehrsregeln überprüften (z.B. musste vor den geöffneten Bahnschienen angehalten werden). Bei Verstößen wurde gleich in bar und ausschließlich Westwährung kassiert. Die Frage: „Können Sie wechseln?" Musste man da sich unbedingt verkneifen!! Eigentlich in jeder Ortschaft auf der Strecke stand mindesten ein „Starenkasten" in militärgrünen Tarnfarben auf einem Mast und schoss Geschwindigkeitsfotos. Wichtiger Devisenbringer für den Staat! DDR konnte man schon in jeder Ortschaft riechen: Die aus dem Auspuff qualmenden Trabis und der überl übliche Hausbrand mit Braunkohlebriketts, machte das Atmen, besonders an nebligen Wintertagen schwer! Die angelieferten Briketstapel türmten sich auf den Bürgersteigen, ehe sie von fleißigen Händen in den Kellern feinsäuberlich gestapelt wurden. Marie Ribbeck wohnte noch immer in ihrem Elternhaus. Noch vor 1900 gebaut, in klassizistischem Stil, eine kleine Stadtvilla, in Schwerin im Obotritenring. Wie eh und jeh ratterte eine quietschende Tram (im Norden sagten wir Straßenbahn) am Haus vorbei und ließ es erzittern. Ein paar Stufen führten zur Eingangstür. Die vergitterten Bleiglasscheiben im Jugendstilmuster hatten 2 Kriege überstanden.
Im Keller befand sich immer noch die herrschaftliche Küche mit schwarzweißen rautenförmigen Fliesen. Kalt und düster war es hier 1 Bei einem unserer Besuche brachten wir eine Neonröhre mit. Der Anschluss war nicht einfach: Die 2-adrige Leitung hatten keinen Nullleiter, die Lüsterklemmen bestanden aus würfelzuckergroßem weißem Porzellan. Museumsstücke aus dem Beginn der Elektrifizierung? Oft brachten wir auch Farben, Pinsel und Lösungsmittel mit, den Baumärkte und Reparaturmaterial gab es nicht! In der Drogerie am Schelfmarkt bekam man Nägel, Schrauben, und manchmal Glühbirnen. Das Haus wurde in den Wohnbereichen durch Kachelöfen mit Briketts beheizt. Die einzige Toilette befand sich auf dem Treppenabsatz zum ersten Stock. Das Abflussrohr verlief, unisoliert an der Außenseite des Hauses. Was in strengen Wintern regelmäßig zu Problemen, und umständlichen Auftauaktionen führte. An die gemütliche Wohnstube von Marie erinnere ich mich sehr gerne. Mit alten Mahagonimöbeln aus der Biedermeierzeit, hochpoliert und mit schlichten weichen Rundungen, an den grünen raumhohen Kachelofen mit seinem „Röhr", einer Klappe, zum Wärmen der Kaffeekanne mit den bunten Streublümchenmuster auf elfenbeinfarbenes Porzellan, und manchmal auch dem Duft des dort trocknenden Quittenbrots oder Bratäpfeln mit Zimtmarzipan. An dieses Zimmer grenzte eine hölzerne Veranda, deren betreten schon lange wegen der Baufälligkeit verboten war. Sie war so morbide, dass unsere Reparaturfähigkeiten dort nicht mehr ausrichten konnten. Im winzigen Garten stand ein inzwischen mächtig gewachsener Walnussbaum, dessen Früchte gesammelt, und sorgfältig für den Wintervorrat getrocknet wurden. Ich erinnere auch noch Schnüre in der Wohnstube, an denen dünngeschnittene Apfel-und Birnenscheiben trockneten. Im Herbst auch mal Steinpilzscheiben, die eine Nachbarin aus dem Wald mitgebracht hatte. Die oberen Etagen des Hauses waren vermietet. Ganz oben, unter dem Dach gab es noch die „Mädchenstube". Damals für das Personal, diente der winzige unbeheizbare Raum jetzt als „Grossmuttings Gästestube". Ein Pisspott aus Porzellan unter dem Bett, eine große Waschschüssel und ein 3 Liter fassender Krug, alle im gleichen braunen Blümchenmuster, stellten die sanitäre Einrichtung, Die Waschutensilien standen auf einer Kommode mit drei klemmenden Schubladen, und einer Abdeckung aus grauweiß marmoriertem Marmor. Unter einem riesigen schweren Federbett versank man in dem großen hölzernen Bettgestell, und kam sich vor, wie in eine Zeit vor hundert Jahren versetzt! Man konnte auch in HO-Gaststätten Essengehen. Die Karte war bei allen Gaststätten gleich, und ebenso billig wie schlecht! Soljanka, Borscht, Gjuwetsch und Grünkohl standen immer auf den Karten, und Sättigungsbeilagen(!). Da konnten sich dann Nudeln und Kartoffeln abwechseln. Reis gab es, meiner Erinnerung nach, selten. In „Uhle's Weinstube" war es gemütlicher und gediegener, die Speiseauswahl besser, Schweineschnitzel, aber sehr wenig Auswahl, wenig Frisches, ausser süß mariniertem Gurkensalat. Dafür war aber guter Wein vorrätig von Saale/Unstrut, einheimisch. Mit Regionaler Küche war man, wenn auch unfreiwillig, der Zeit voraus! Ebenso mit Recycling: Flaschen wurden gesammelt, farblich sortiert. Zeitungen und ebenso Silberpapier (da war man der heutigen Zeit schon voraus!) und auch Pappe wurden in Annahmestellen entgegengenommen. Ich meine zu erinnern, dass Kinder für Stanniolpapier/Silberpapier sogar nach Gewicht Pfennigbeträge erhielten. Das kam wohl mehr von Zigarettenschachteln als von Schokolade! Geraucht wurde unheimlich viel und filterlos!
Ich hatte einen Studienplatz an der TU in Berlin für das Fach Pharmazie bekommen. Meinen VW Käfer bepackte ich mit den Sachen, die ich brauchen würde, und fuhr über die Transitstrecke von Lübeck nach Berlin Staaken/ Heerstraße. Ein Studentenzimmer hatte ich bei vorherigen Besuchen in der Pfalzburger Straße, nahe dem „Kuhdamm", in einem Hinterhof im Parterre mieten können. Die Anreise hatte ich mit stark bezuschussten Flugtickets von Fuhlsbüttel nach Tempelhof organisieren können. In meinem Auto genoss ich die Umzugsfahrt bei schönem Frühlingswetter und freute mich auf den neuen Lebensabschnitt. An den Kieferstämmen in den Wäldern auf sandigem Boden waren Winkel eingeritzt, am unteren Ende hing ein Blumentopf. Ungewöhnlich! So etwas hatte ich noch nie gesehen! Ungeachtet des Halteverbotes sah ich mir die Sache näher an: Der Tontopf hatte unten kein Loch! das duftende zähflüssige goldgelbe Harz sammelte sich am Boden. Später erfuhrich, dass das Harz für die Farbindustrie gebraucht wurde. Einmal auf Entdeckungsreise, beschloss ich eine kurze Mittagspause am Schloss Ludwigslust einzulegen. Auf dem ruhigen Vorplatz, mit Blick auf das kleine Jagdschloss saß ich am Rand der trockenen Kassadenmauer und aß mein Käsebrot. Warum werde ich denn bloß so von den Leuten angestarrt? Westler wurden immer sofort an der Art Ihrer Kleidung, des Brillengestells, des Make-ups und der Schuhe erkannt! Weiter ging's nach Berlin. Am Grenzkontrollpunkt stellte dann der Uniformierte die bohrende Frage „Wo waren sie so lange?". „Auf dem Weg hierher! Mein Auto ist alt, und fährt nicht besonders schnell!" Missmutig blickte der Mann auf eine lange Liste mit Zahlenkolonnen: Ich war wohl der „Kuhschwanz" aller auf der Transitstrecke. Aber ich hatte Eindrücke auf der Fahrt gesammelt, die ich nicht vergessen habe! Sollen die doch kontrollieren.... Als Satelitenschüsseln den Fernsehempfang verbesserten, wuchs im DDR-Gebiet plötzlich ein „Schüsselland". Verschämt nach Westen ausgerichtete Antennen, hoffentlich vom alles kontrollierenden Blockwart übersehen, klebten plötzlich an allen Balkonen, Dächern und Mauern. Während man im Westen höchstens mal den „Schwarzen Kanal" im DDR-Fernsehen ansah, wenn man sich auch mal eine östliche Kritik am kapitalistischen Feindbild antun wollte. Meist stellten wir die Sendung aber, kopfschüttelnd, rasch wieder aus: Zu aggressiv polarisierend, polemisch verbohrt! „Ein Kessel Buntes" trug da eher zur Unterhaltung bei. Und die Gruppe „Pudel" versuchte die Beatles zu covern. Es kam auch über die Musik ein „Wind of Change"!
Drei Mädchen hatten Marquardts: Diana, Peggy und Jeanette. In der Wahl der Vornamen war man in der DDR immer sehr westlich! Wer sich in Schlagern auskannte, wusste auch gleich den Jahrgang von „Marina, Ramona und Cindy"! Und warum man in der DDR das Brathühnchen, allgemein üblich, mit dem englischen Begriff „Broiler" bezeichnete, blieb mir immer unverständlich! Dieses Wort war, selbst in den Anglizismen gewohnten Bundesrepublik unüblich! Auch nur die DDR sprach immer von der „BRD", der Westen immer von sich als Bundesrepublik.
Nach dem Fall der Mauer 1989, stand dann auch Peggy mit Mann und 2 Kindern eines Tages, unangekündigt, bei uns vor der Tür und bat um Hilfe bei der Wohnungssuche. Lange hatten sie an Flucht gedacht, waren aber immer zu dem Entschluss gekommen, dass die Risiken mit 2 kleinen Kindern zu hoch waren. Das war jetzt weggefallen! Über den Grenzübergang Schlutup (Ironie: Uralter Begriff „Schließ auf!"), kamen sie in ihrem Trabbi nach Zarpen gefahren, unserem Wohnort. Eine andere, die kam, uns besuchte, und nicht mehr zurückfuhr, war Cousine Sigrid. Sie lebte eigentlich mit ihrer Mutter in Berlin. Wir haben uns aber schon vorher mal in Schwerin getroffen. Dorthin hatte sie auch ein wesentlich älterer Mann begleitet, den sie als Freund vorstellte. Sie war in einer Pension untergebracht: Doppelbett im immer und für Tante Klara, Sigrids Mutter, ein Wandklappbett. Was uns zu Erstaunen und Spott anregte. Das kam bei dem Herrn äußerst schief an! Uns brachte es zu der Überzeugung, dass er bei der Stasi arbeitet, was sich später auch bestätigte!
Zeitzeugeninterview von Annelie (27.01.2025)
Danke, dass Sie mit uns das Interview über die innerdeutsche Grenze führen. Ich würde gerne Fragen zu dieser Zeit stellen.
Wie alt waren Sie zur Zeit des Mauerbaus, und wie haben Sie die plötzliche Trennung durch die innerdeutsche Grenze in Ihrer Familie erlebt?
Ich war zur Zeit des Mauerbaus 12 Jahre alt und habe die Trennung nicht bewusst miterlebt. Ich war ja ein Kind und wir haben gespielt.
Gab es in Ihrer Familie enge Verwandte, die auf der anderen Seite der Grenze lebten, und wie hat das Ihre Familie beeinflusst? Unsere Verwandten wohnten in Mecklenburg und so viel Kontakt gab es nicht, weil das auch eine ganz andere Zeit war. Das ist ja nun schon viele Jahre her. Es gab enge Verwandte. Es gab Cousins und Cousinen meiner Mutter. Meine Mutter ist in Mecklenburg groß geworden, also auf der anderen Seite der Grenze, und hat aber schon in Schleswig-Holstein gelebt. Ich weiß, dass sie ganz, ganz traurig war, weil sie gesagt hat: „Da kann ich jetzt nie mehr hin." Irgendwann ist sie mit uns an die Wakenitz gefahren, das ist der Fluss, der Schleswig-Holstein und Mecklenburg trennt. Die geht von Lübeck die Wakenitz bis zum Ratzeburger See und da war früher eine Brücke. Ich war vielleicht 6 oder 7, das war noch vor der Mauer, trotzdem hat sie da gestanden und meiner Schwester, die ein bisschen jünger ist als ich, erklärt: Da kann ich jetzt nie mehr hin und da wohnen aber meine Verwandten und da bin ich groß geworden, bis 14 ungefähr hat sie da gelebt, und er hat geweint und geweint und geweint. Sie taten mir so leid, das weiß ich noch. Also durch diese Mauer, um diese Frage 2 einem nochmal zu beantworten, haben wir ganz wenig Kontakt gehabt zueinander. Ich habe immer nur die Traurigkeit mitbekommen, insbesondere von meiner Mutter und meiner Oma. Auch sie ist da groß geworden.
Wie oft konnten Sie Verwandte auf der anderen Seite der Grenze besuchen?
Ganz, ganz selten, und ich weiß auch nicht mehr wirklich, ab wann das einigermaßen einfach möglich war. Dafür war ich zu jung.
Wie haben sie die Formalitäten empfunden?
Also ich weiß, dass es belastend war und kompliziert. Keine Ahnung, aber belastend war es natürlich.
Und wie hat sich die Einschränkung, nur mit Einladung reisen zu können, auf die Beziehung ausgewirkt?
Die Beziehung wäre viel, also wir wären viel häufiger dort gewesen, wenn die Grenze nicht dazwischen gewesen wäre.
Konnten Geschenke oder persönliche Gegenstände über die Grenze mitgenommen werden? Es gab, glaube ich, ganz wenige Sachen, die man mitnehmen durfte. Was man nicht mitnehmen durfte, war Westgeld, das war 7-mal so viel wert oder noch viel mehr als das Ostgeld.
Wie ich mich gefühlt habe, als ich die Grenze überquerte? Das war dann nicht, um die Familie zu besuchen, sondern es war, um Transit nach Bornholm zu fahren [also Transit bedeutet, dass man nur durchfährt], und das ging. Das Auto wurde wie bekloppt gefilzt und untersucht. Auf Bornholm auf Rügen, das ist die Insel, in der Mecklenburg, von wo aus man nach Bornholm kann, das ist eine dänische Insel, da wurde es wieder untersucht, obwohl zwischendurch, wenn man angehalten hätte oder so, da wäre sofort die Volkspolizei gewesen. Einmal haben wir angehalten, weil wir mit den Kindern nach Rügen fahren wollten, um dann weiterzufahren auf die dänische Insel. Da war ein Mohnfeld, das war so hübsch, Mohn und Kornblumen. Ich wollte ein Foto machen und dann habe ich fotografiert. Die Fotos hab ich noch. Sofort kam die Volkspolizei und haben nicht gesehen, dass ich fotografiert habe, sonst hätten sie mir wahrscheinlich den Film geklaut oder mich eingesperrt, keine Ahnung. Die haben mit mir gemeckert, man dürfe doch nicht anhalten, und dann hab ich gesagt: Wissen Sie was, wenn Sie so nötig müssten wie ich pinkeln, dann würden Sie auch lieber einmal am Straßenrand pinkeln anstatt in den Sitz oder so. Da haben Sie mich fahren lassen.
Ich weiß noch, die Kinder waren ganz klein und wir kamen von Bornholm zurück. In Lübeck-Schlutup war ein Grenzübergang, das ist ein Teil von Lübeck. Da kam man abends um 12 an, weil die Fähren so fuhren, dass man mittags oder so erst auf diese dänische Insel wegfuhr. Die Kinder waren vielleicht 3 und 4 Jahre alt und wir mussten die Kinder nachts um 12 herausnehmen. Wir mussten die Kindersitze ausbauen, damit die unter diesen Sitz gucken konnten, ob wir da vielleich jemanden angepackt haben irgendwo zwischendurch und den jetzt im Westen schmuggeln wollen, so schlimm war das. Danach haben sie mit so einer Spirale im Tank rumgestochert, da habe ich gesagt: „Ich würde so gerne wissen, was sie da finden könnten." Und dann hat er gesagt: „Vielleicht fahren sie ja mit Diesel!" Damit würde das Auto nicht laufen, das lief nur mit normalem Benzin, aber es könnte dem eigentlich auch egal sein, ob ich mit Diesel oder mit Benzin fahre. Das war nur eine Ausrede, weil sie eigentlich gedacht haben, dass da vielleicht auch irgendwas ist, was ich schmuggle. Es war wirklich sehr schlimm, und zwar immer mit Angst. Einmal weiß ich, dass mir mein Exmann ins Schienbein getreten hat. Ich sollte eigentlich meine Klappe halten. Wir waren mehrmals auf Bornholm, das auf Rügen liegt. Da wurden wir wieder untersucht, bevor wir auf die Fähre fuhren. Einer war, den ich wiedererkannt hatte, der im Jahr davor auch unser Auto durchwühlen musste. Ich hatte ganz viel Marzipan eingekauft von Niederäckern, dann habe ich gesagt: „Ich würde Ihnen ja gerne was davon abgeben, aber ich weiß natürlich, dass Sie das nicht nehmen dürfen." Er hat zu mir gesagt: „Ich würde auch gerne mal nach Bornholm fahren." „Ich würde ja wiederkommen, ich würde nur so gerne mal wissen, wie es da überhaupt ist."
Ich habe lange in Potsdam gearbeitet, über 10 Jahre. Das ist eine Stadt in der ehemaligen DDR, die neben Berlin liegt. Ich habe da viele gute Freunde, also Freundinnen eher, die haben auch gesagt: „Wir wollten nur mal wissen, wie es auf Mallorca ist." „Wir wären einfach gerne ein bisschen gereist, dahin, wo wir nicht dürfen. Wir haben ja Länder im Osten, da dürfen wir überallhin, also Russland und so." Da könnten sie alle hinfahren, aber sie dürften einfach nicht im Westen in irgendeine Stadt oder auf irgendeine Insel. Sie hätten es auch nicht bezahlen können, weil das Geld ja nichts wert war.
Also, es war immer beängstigend an der Grenze, egal was es war.
Hatten sie jemals Angst, dass ein Besuch in der DDR überwacht wurde?
Ich weiß, dass ich vor der Maueröffnung, da bin ich einmal mit meinen Eltern nach Schwerin gefahren, da haben wir aber gar keine Verwandten besucht. Ich hatte auch irgendwie so einen Passierschein oder weiß ich nicht, was man da haben musste. Da habe ich immer gedacht, dass irgendwo eine ist und guckt, also obwohl ich ja nicht irgendwie politisch tätig war oder so etwas.
Was haben sie vom sogenannten kleinen Grenzverkehr gehalten? War das für ihre Familie eine Erleichterung?
Nein, war es nicht, weil der war nur, wenn man so und so weit hinter der Grenze wohnte, soweit ich weiß. Also die Leute, die in Schönberg wohnten, zum Beispiel, sind mit dem Auto eine halbe Stunde von hier in Mecklenburg, und da konnten die Rentner im kleinen Grenzverkehr nach Lübeck fahren. Da haben alle anderen gesagt: „Oh, bring mir mal das mit und bring mir was mit." Das ging dann. Das haben mir jetzt die Leute erzählt, die immer noch da wohnen in Schönberg. Also für die war es toll, aber für unsere Familie nicht, weil die zu weit weg wohnten.
Wie haben sie den Mauerfall 1989 erlebt?
Da war ich in Berlin, das war der Hammer, eines meiner größten Erlebnisse. [...] Es war so Viertel nach sieben. Da hat einer aus der DDR damals noch irgendwie so einen Zettel gehabt und hat was vorgelesen. Aber DDR sprechen, nenne ich das mal, die haben ein bisschen anders formuliert, gerade erst recht die Politiker, und da wurde dann gefragt: „Ab wann gilt die Reisefreiheit?" „Ja, wenn ich das hier so sehe, ist das ab sofort", das hieß, die Mauer war auf. Und dann habe ich abends, da wohnte ich in Berlin, mit meinen beiden Kindern, das war 1989, Tia war 10 und Livia dann 11, da zu Hause gesessen und wir wussten noch nicht. Ob die wieder zurückkönnen in die DDR, und dann haben wir gesagt, würden wir dann hier irgendwie zwei Leute aufnehmen bei uns. Wir hatten eine Drei-Zimmer-Wohnung und haben uns dann für ja entschieden. Und am nächsten Tag wusste ich aber schon, dass die alle wieder nach Hause dürfen, und da war ich ganz froh, weil das ganz schön eng geworden wäre.
Gibt es eine Erinnerung, die Ihnen in Bezug auf die Wiedervereinigung wichtig ist?
Also, ich hab nicht damit gerechnet, dass die Wiedervereinigung kommt. Ich war 40, als die Mauer fiel. Ich wohnte ja damals in Berlin und ich weiß, dass die Grenze ungefähr zwei Kilometer von meinem Büro, wo ich zu der Zeit gearbeitet habe, entfernt war. Und ich habe in der Verwaltung gearbeitet, im Bauamt, und dann habe ich zu meinen Kollegen gesagt: „Komm, wir gehen jetzt zur Bornholmer Brücke." So hieß nämlich die Brücke, wo die Ossis alle rüberfahren konnten, um dann nach Westberlin zu kommen. Und dann haben die gesagt: „Nein, wieso?" „Dann sieht uns da jemand, der Bürgermeister oder so", dann habe ich gesagt: „Guten Tag!" „Geht es denn hier jeden Tag die Mauer auf?" Kann doch wohl nicht wahr sein! Die waren alle zu feige, um zu dieser Bornholmer Brücke zu kommen. Da bin ich alleine hin gestiefelt und dann standen die Leute mit Schampus. Also, so viele Sekt- und Champagnerflaschen habe ich noch nie gesehen. Da haben Sie die ganzen Trabis, die rüberkamen, dann immer mit Sekt begossen und da drauf rumgetrommelt vor Freude, weil nun Deutschland dann wieder vereint war, und das war echt ein irres Erlebnis. Dann hat der Sender „Freies Berlin", das war der Fernsehsender da, an dem Wochenende darauf eine Aktion gestartet: Wer aus der DDR darf bei wem hier in Westberlin übernachten? Und dann habe ich natürlich angerufen und habe gesagt: „Zwei Betten habe ich hier locker frei, also kann ich frei machen." Danach kamen Conny und Wolfgang aus Frankfurt. Oder, das ist 100 Kilometer östlich von Berlin ungefähr noch und das war an der Grenze zu Polen, und sie kamen zu mir und mit denen bin ich bis heute befreundet. Über so eine lange Zeit. Das war wirklich nett. Der Wolfgang wurde dann später auch Oberbürgermeister in Frankfurt. Wir sehen uns nicht oft, das ist auch viel zu weit dafür, und wir sind alle 36 Jahre älter geworden seitdem. Es ist aber trotzdem ein sehr herzlicher Kontakt. Ich rufe auch am 9. November an, weil am 9. November ist die Mauer gefallen ja. Dann telefonieren wir immer und wir telefonieren zum Geburtstag, die haben uns hier auch schonmal besucht.
Was ich noch erinnere, ist, dass die Cousine meiner Mutter irgendwann bei uns war. Die ist ein bisschen jünger als ich und das war vor Maueröffnung, und das heißt, dass sie vielleicht 35 war oder so und Kinder hatte. Sie brachte die Kinder morgens um 7 oder so in den Kindergarten und holte sie abends um 6 oder so wieder ab. Dazwischen wurden die erzogen von den Erzieherinnen halt, und dann hab ich gesagt: „Wieso kriegt man überhaupt Kinder, wenn man die mehr als 12 Stunden am Tag abgibt?" „Ja, das ist bei uns so normal." Das war für die normal, das war für mich nicht normal. Ich hatte, glaube ich, noch keine Kinder oder meine Kinder waren ganz klein, doch ich musste welche gehabt haben, ich war ja 28, als Livia geboren wurde. Also jedenfalls waren meine Kinder nicht so, nicht annähernd so lange im Kindergarten. Drei Stunden waren die im Kindergarten und dann 10 Stunden oder noch länger. Die wurden auch so erzogen, dass sie systemtreu wurden, im Kindergarten. Das gab es bei uns ja auch nicht, dass man da irgendwelche Lieder gesungen hat, dass wie schön hier ist und dass alle anderen nicht so gut sind und weiß nicht was. Dann habe ich da auch erfahren, dass das so in Betrieb sozusagen Leute auch sich gegenseitig verraten haben. Und wer das Westfernsehen sieht oder Westkontakte hat, die er ja nicht haben darf, und all so ein Kram. Also das war eher, haben mir dann Leute gesagt später nach der Wende, eine Notgemeinschaft zu DDR-Zeiten. Die sagen heute auch, dieser Zusammenhalt, den sie hatten zu DDR-zeiten, ist nicht mehr da. Das hat aber auch mit dieser Notgemeinschaft zu tun. So, und ich sag dann immer: „Wieso Zusammenhalt?" Das hängt ja auch damit zusammen, was man dann daraus macht. Nicht. Jetzt letzte Woche hatte ich nämlich gerade 8 Leute aus Schönberg bei mir. Ich arbeite ja mit einem Arzt zusammen dort nunmehr 20 Jahre. Und die Helferin und auch die ehemaligen Helferinnen waren hier alle bei mir. Die eine sagte: „Oh wie schön, dass du das immer wieder machst und wir hier zusammen sitzen können." „Keiner von den neueren macht da so etwas." Aber für Kontakte muss man was tun.
Ist die Cousine, die in der DDR aufgewachsen ist, noch am Leben?
Ich weiß es überhaupt nicht. Das war ja eine Cousine von meiner Mutter. Meine Mutter wäre jetzt 96, aber sie ist nur 71 geworden. Ich bin jetzt 75, also da war sie schon 4 Jahre tot. Sie war ja nicht meine Cousine, zu meiner Cousine habe ich noch Kontakt.
Wie war der Alltag in der DDR damals im Vergleich zur BRD?
Sie hatten viel, viel weniger. Man musste, glaube ich, 18 Jahre auf ein Auto warten, also bei der Geburt so ungefähr hat man schon ein Auto bestellt. 18 Jahre, wenn ich das richtig behalten habe. Es gab vielleicht Weihnachten mal 2 Apfelsinen, also Südfrüchte, und sowas gab es gar nicht. Es war eine Mangelwirtschaft. Es gab die meisten Sachen nicht, darum sind auch, sagen die, die Häuser so verfallen, weil die kein Baumaterial hatten, um die Häuser zu erhalten. Wenn du wüsstest, wie das da ausgesehen hat- leider hab ich meine Fotos alle zum Potsdam Museum geschickt, wie kaputt die Häuser waren, weil da über Jahrzehnte nichts gemacht wurde. Wenn es oben reinregnete, dann wurde die Dachgeschosswohnung, da konnte dann keiner mehr wohnen. Dann konnten nur in der Etage darunter welche wohnen, und wenn die Etage da auch schon mal durchregnet, dann konnte man eben nur noch im Erdgeschoss wohnen. Wenn das auch nicht mehr ging, dann verfiel das Haus, anstatt es so zu reparieren. Aber das Haus gehörte dem Staat, also war es kein Eigentum. Das ist schon ein Punkt, dass man dann nicht so ein Interesse hatte, das Haus zu reparieren, und es gab einfach viel zu wenig Material bis gar nichts. Also, man konnte nicht in den Supermarkt gehen und mal eben da locker einkaufen - keine Chance.